Wir müssen unsere Energiewirtschaft dringend umstellen: weg von fossilen Energieträgern – hin zu Erneuerbaren Energien. Eine wichtige Rolle wird dabei Wasserstoff spielen. In der öffentlichen Diskussion über Wasserstoff als Energieträger gibt es einige Streitfragen. Unserem Neckar-Alb-Blog (NAB) ist es gelungen, den Wasserstoff (H2) zu einem Interview zu überreden.
NAB
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. Wie soll ich sie ansprechen: Herr, Frau, …?
H2
Ich bin gender-neutral. Duzen wir uns doch einfach.
NAB
Kannst Du mir etwas zu Deiner Herkunft erzählen?
H2
Mich gibt es seit kurz nach dem Urknall. (Kurz ist natürlich relativ.) Sobald die äußeren Bedingungen es zuließen, haben sich jeweils ein Proton und ein Elektron zusammengetan und damit das einfachste Atom im Universum gebildet: mich. Auch heute noch besteht der größte Teil der Materie im Universum aus Wasserstoff.
NAB
Warum diskutieren wir dann so viel über die Erzeugung von Wasserstoff, wenn Du so häufig vorkommst?
H2
Ich gehe gerne Verbindungen mit anderen chemischen Elementen ein – als reiner Wasserstoff komme ich auf der Erde eigentlich nicht vor. Wenn ich mich z.B. mit Sauerstoff (O) zu Wasser (H2O) verbinde, wird dabei Energie frei. Diese Energie müsst ihr wieder investieren, wenn ihr mich als Single haben wollt. Wirklich Single bin ich übrigens selten: Normalerweise tun sich zwei Wasserstoffatome zu einem Molekül H2 zusammen.
NAB
Ist dann die ganze Diskussion über H2 nicht unsinnig?
H2
Nein, ich bin ein Energieträger, aus dem ihr Energie holen könnt. Da unterscheide ich mich im Prinzip nicht von Erdgas oder Kohle. Für die Energiewende bin ich deshalb interessant, weil ich keinen Kohlenstoff enthalte und deshalb bei der Energiegewinnung aus Wasserstoff kein klimaaktives CO2 in die Atmosphäre entweicht.
NAB
Zu einem anderen Thema: Ich habe immer wieder gehört, dass es Dich in verschiedenen Farben gibt: grün, türkis, grau, … Ohne Dich beleidigen zu wollen: Du kommst mir ziemlich farblos vor. Habe ich etwas falsch verstanden.
H2
Es geht nicht um meine Farbe, sondern um die Energie, die benutzt wird, um mich aus den Verbindungen zu lösen, in denen ich mich befinde. Die Farben enthalten eine Wertung: Grün steht für Strom aus Erneuerbaren Energien und ist die beste Lösung. Rot steht für Strom aus Kernkraft, grau für Strom aus fossilen Energien.
NAB
Wozu dient der Strom?
H2
Vielleicht erinnerst Du Dich noch an Deinen Chemie-Unterricht, Stichwort Elektrolyse: Wenn Du Strom durch mit Salzen versetztes Wasser schickst, wird das Wasser gespalten. An einer Elektrode steigt Sauerstoff auf, an der anderen Wasserstoff. Im Prinzip ganz einfach. Aber Du brauchst elektrische Energie. Und fast 30% der eingesetzten elektrischen Energie wird zu Abwärme und dient nicht der Erzeugung von Wasserstoff.
NAB
Ist das der einzige Weg, Dich aus bestehenden Verbindungen zu lösen?
H2
Nein, manchmal entstehe ich auch als Abfallprodukt in der chemischen Industrie. Es ist ebenso möglich, mich aus Erdgas (besteht hauptsächlich aus Methan, CH4) abzutrennen. Je nach Verfahren entsteht dabei als Abfallprodukt CO2 (Farbwertung Grau) oder reiner Kohlenstoff (Farbwertung Türkis, allerdings nur, wenn die benötigte Energie aus erneuerbaren Quellen stammt).
NAB
Prima, dann benutzen wir Dich dort, wo wir früher Erdgas verwendet haben?
H2
Nein. Nur in den Fällen, wo es um die Erzeugung von Prozesswärme geht, z.B. in der Stahlindustrie. Den meisten heutigen Gasheizungen werde ich in Reinform unangenehm aufstoßen, da ich anders verbrenne als Erdgas. Auch als Treibstoff für Fahrzeuge kann ich in der Regel nicht ohne technische Umrüstung das bisher verwendete Gas ersetzen.
NAB
Verstanden. Wie bekommen wir Dich an die Stelle, an der wir Dich brauchen?
H2
Wie Erdgas kann ich mich durch Leitungen bewegen. Ob aber alle Elemente eures Gasleitungssystems bereit für mich sind, bleibt abzuwarten.
Schwieriger wird es, wenn ihr mich abfüllen möchtet. Ich kann zwar pro Gewichtseinheit mehr Energie zur Verfügung stellen als Erdgas. Da ich andererseits sehr viel leichter bin als Erdgas, enthalte ich pro Volumeneinheit weniger Energie als Erdgas. Daher muss ich unter hohem Druck auf tiefe Temperaturen heruntergekühlt werden. Sonst nehme ich viel zu viel Platz ein. Alternativ gibt es feste Materialien, an die ich mich gerne dicht ankuschle, so dass ich in diesen Materialien sehr viel weniger Platz beanspruche als in einem normalen Tank. Ich bin sehr neugierig, auf was für Kuschelmaterialien ihr noch kommen werdet.
Außerdem bin ich leider auch noch etwas launischer als Erdgas, wenn es um „spontane“ Explosionen geht.
NAB
Was können wir mit Dir machen, wenn wir Dich nicht verbrennen möchten?
H2
Ihr könnt wieder Strom aus mir erzeugen. (Das ginge auch, indem ihr mich in einem Kraftwerk als Gasersatz verbrennt und mit der entstehenden Wärme einen Stromgenerator antreibt.)
Viel sinnvoller ist es allerdings, in einer Brennstoffzelle direkt Strom aus mir zu erzeugen. Dazu wird die oben beschriebene Elektrolyse umgekehrt: ich und Sauerstoff rein, raus kommt elektrischer Strom und Wasser, ohne dass irgendetwas verbrannt wird.
Dadurch entsteht aber kein Perpetuum Mobile: Zu den 30% Prozent Verlust bei der Elektrolyse kommen noch einmal über 50% Verlust in der Brennstoffzelle. Damit werden (Stand heute) fast 2/3 der ursprünglichen Energie in Abwärme verwandelt (die ihr natürlich anderweitig nutzen könntet.)
Deshalb fühle ich mich nicht unbedingt als der ideale Zwischenspeicher für Elektrizität – nur wenn ihr wirklich nichts Besseres mit dem Strom anfangen könnt.
NAB
Sagen Dir synthetische Kraftstoffe etwas?
H2
Ja, habe ich damals nach dem Urknall in der Schule gelernt. Ich hatte zuvor erwähnt, dass man mich aus Erdgas herauslösen kann. Diesen Vorgang könnt ihr auch umkehren: Aus Wasserstoff (H) und Kohlenstoff © — oder CO2 — wird wieder Methan (CH4). Und dieses Spiel könnt ihr dann weitertreiben: immer längere Moleküle synthetisieren (hauptsächlich aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff). Daraus können dann Grundstoffe für die chemische Industrie oder eben Ersatz für Benzin entstehen.
Allerdings funktioniert das Ganze nicht durch „einfach umrühren und fertig“, sondern es muss beträchtliche Energie eingesetzt werden, um immer längere Moleküle zusammenzubasteln. Deshalb ist die Idee, einfach das Mineralöl aus dem Boden durch Mineralöl aus dem Chemiebaukasten zu ersetzen, etwas für die ganz ferne Zukunft, wenn euch die Alternative Energie nur so aus den Ohren quillt.
NAB
Und wie können wir die Alternative Energie aus den Ohren quellen lassen?
H2
Stand heute nur kleinteilig: viele Anlagen, die Sonne, Wind, Wasserkraft und Biomasse zu Strom machen.
Einen Joker gibt es allerdings, an dem ich gegebenenfalls auch beteiligt wäre: Durch Kernfusion aus mir Helium zu machen – wie in der Sonne. Dadurch könnte dann wirklich Energie im Überfluss entstehen. Allerdings haben mich eure Versuche in diese Richtung bisher eher genervt als beeindruckt (ich persönlich bin nur unter heftigem Zwang bereit, meine Existenz aufzugeben, um als langweiliges Helium wiedergeboren zu werden.) Mal sehen, was euch da noch einfällt.
NAB
Viele Dank für dieses Gespräch.
Interview: Thomas Damrau
Illustrationen: Nicola Mattern
So viel zur Sicht unseres heutigen Gastes. Wir werden in den nächsten Monaten einige ExpertInnen aus unserer Region befragen, ob sie das Thema genauso bewerten wie H2 und unseren LeserInnen die Antworten in diesem Forum zukommen lassen.
[…] die Aussagen meines Interview-Partners H2 zu prüfen, wollte ich mich zuerst über die Generierung von Wasserstoff […]
[…] die Aussagen meines Interview-Partners H2 zu prüfen, wollte ich mich zuerst über die Generierung von Wasserstoff […]
[…] die Aussagen meines Interview-Partners H2 zu prüfen, wollte ich mich zuerst über die Generierung von Wasserstoff […]