Simon Tress ist der bekannteste Bio-Koch Deutschlands. Sein Lokal „1950“ auf der Schwäbischen Alb in Hayingen erhielt 2021 den Grünen Michelinstern. Ob der heller strahlt als der klassische und was nachhaltige Küche ausmacht, erzählte er mir am Telefon, im Hintergrund stets zu hören: schaffiges Küchengeklapper.
Ich war gerade auf Ihrem Onlineshop. Leider ist die Rindsroulade ausverkauft. Ich hätte mir gerne eine bestellt. Aber so ist das halt: Wenn ökologisch korrekt gewirtschaftet wird, dann ist nicht immer alles ständig verfügbar.
Genauso ist es. Wir haben gerade ein Rind geschlachtet. Also gibt es nächste Woche wieder welche.
Herr Tress, welcher Stern strahlt heller, der Grüne oder der klassische Michelin?
Jeder Stern hat seine Berechtigung. Über jeden von beiden freut sich jeder Koch. Das ist doch jetzt eine politisch korrekte Antwort.
Auf jeden Fall. Welche Kriterien spielten für die Vergabe eine Rolle?
Der Grüne Stern zeichnet Restaurants aus, die vielfältig nachhaltige Werte leben. Kriterien sind zum Beispiel Achtung vor der Natur, Herkunft und Qualität der Produkte, saisonales Kochen. Die Küche muss von der Qualität her überzeugen. Für uns ist nachhaltiges Arbeiten selbstverständlich und bereits seit 1950 in unserem Betrieb verankert.
Sie sind Demeter- und Bioland-zertifiziert. Das ist mit viel Aufwand verbunden. Und Kosten.
Das ist es, aber wir brauchen Zertifzierungen und Richtlinien. Sonst kann jeder machen, was er will. Und es ist auch wichtig und richtig, dass es was kostet, weil es so einen Wert darstellt. Alleine Regionalität ist kein Garant für korrekten ökologischen Anbau.
Sie haben CO2 ausgewiesene Menus. Wie errechnen Sie das?
Dafür haben wir eine Agentur in Zürich. Wir errechnen gemeinsam das CO2 und legen den Wert pro Menu fest. Im Zuge dessen haben wir in unserem Restaurant Fleisch zur Beilage gemacht, weil es den CO2 Ausstoß pro Menu stark erhöht und verteuert.
Auf welche Zutat zu verzichten, fällt Ihnen schwer?
Ich empfinde da nichts als Verzicht. Ich sage immer, die Natur macht den Teller. Als guter Koch ist es wichtig, mit dem zu arbeiten, was die Natur einem schenkt. Und nach ihr richten wir uns.
Ich denke da zum Beispiel an Gewürze, mit denen man aus etwas eher Langeweiligem im Kühlschrank-Gemüsefach mehr Geschmackserlebnis zaubern kann.
Gewürze müssen doch nicht exotisch sein. Ich nehme zum Beispiel Senfkörner statt Pfeffer. Wir haben so tolle Gärten, da kann man so viele Geschmäcker rausholen, mit Olivenkraut etwa oder auch anderen Kräutern. Man muss sich einfach mal wieder richtig damit beschäftigen. Das ist ja ein gesellschaftliches Problem: dass wir uns zu wenig Gedanken über das Kochen machen. Natürlich ist es einfach, in den Gewürzschrank zu greifen, aber wichtiger ist es, wieder zu lernen, was so vielfältig im Garten wächst. Das machen wir im Restaurant genauso. Für unsere Zutaten haben wir einen Radius von 25 Kilometer festgelegt. Wir könnten es uns einfacher machen, aber wir wollen ja mit dem, was die Region hergibt, Gerichte kreieren. Und das macht ja auch Freude.
Experimentieren kann in die Hose gehen. Ich habe mir letztens ein Essen versaut mit Liebstöckel. Der hat geschmacklich überhaupt nicht zum Rest gepasst. Passiert Ihnen so etwas auch?
Natürlich, auch das kommt vor. Aber bevor ich loslege, mache ich mir erst mal viele Gedanken. Was harmoniert miteinander? Was kann aufeinander aufbauen? Irgendwann ist es dann bei mir im Kopf drin: Diese Zutaten passen ganz gut, jene Zutaten kann man kombinieren. Dass etwas radikal nicht schmeckt, kommt sehr selten vor.
Das wäre ja auch schlimm, wenn Sie da auf meinem Niveau unterwegs wären.
Stimmt. Ich habe natürlich einen ganz anderen Erfahrungsschatz und weiß, was passt.
Teil Ihrer Philosophie ist es, alles zu verwenden, nichts wegzuwerfen. Hätten Sie einen Tipp für ein Pesto, etwa aus Karottenkraut?
Karottenkraut, Hartkäse aus der Region, ein bisschen Rapsöl. Das reicht schon fast, denn im Karottenkraut steckt viel Eigengeschmack.
Bezogen auf Ihre Arbeits- und Lebenswelt: Unterscheidet sich das heutige nachhaltige Wirtschaften von dem von 1950?
Nicht wirklich. Die Regeln von damals gelten heute noch. Früher aß man das, was Landwirtschaft und Natur hergaben. Man hat sich automatisch saisonal ernährt, was schon mal gesünder und ökologischer ist. Und man hat viel eingemacht und eingekocht. Dass wird heute leider viel seltener gemacht. Dass ein Essen gut gewürzt sein und gut schmecken muss, war damals auch wichtig. Halt ohne Curry und Ingwer.
Zu guter Letzt unser neckar-alb.blog Fragebogen an Simon Tress.
Welches Auto fahren Sie?
Einen Opel Grandland Hybrid. Aber ich plane, auf Elektro umzusteigen.
Welche kleine Biosünde gönnen Sie sich?
Meine Frau und ich, wir holen uns schon mal eine Pizza. Ich bin der Meinung, wenn man 90 Prozent im Jahr was Gutes isst, darf man 10 Prozent was anderes essen.
Wie sieht die Welt von morgen aus?
Wenn wir uns politisch endlich mal in die richtige Richtung bewegen, dann wird die Welt von morgen besser aussehen. Aber da müssen wir uns jetzt überraschen lassen. Ich hoffe, die Welt von morgen sieht grün aus.
Und weil ich weiß, dass Sie Fußballfan sind: Wo steht der VfB am Ende der kommenden Saison?
Auf jeden Fall einstellig.
Fotos: Tress Gastronomie
Simon Tress (Jahrgang 1983) ist Deutschlands bekanntester Bio-Koch. Sein Motto: „Respekt vor Mensch, Natur und Tier“.
Nach vielen Stationen in der Spitzengastronomie und internationalen Erfolgen als Teamkapitän der deutschen Jugend-Nationalmannschaft der Köche zog es ihn wieder zurück in die Heimat auf die Schwäbische Alb.
Maßgeblich für die Entwicklung hin zum heutigen Familienunternehmen mit 80 Beschäftigten war das Jahr 1950, als Großvater Johannes Tress den biologisch-dynamischen Gedanken nach Hayingen-Ehestetten mitbrachte und noch im selben Jahr den Bauernhof nach biologisch-dynamischen Demeter-Richtlinien umstellte.
Seit 2006 entwickelt Simon Tress den Familienbetrieb in Hayingen-Ehestetten erfolgreich weiter und positionierte ihn als eine der wichtigsten Adressen in Sachen Bio-Küche und Kochkompetenz.
Verwertet werden Lebensmittel stets im Ganzen, nach den Prinzipien Leaf-to-Root und Nose-to-Tail. Reste werden stets weiterverarbeitet, es entsteht kein Lebensmittelabfall. Was in seiner Küche verarbeitet wird, stammt aus ökologischem Anbau und ist zu 100 Prozent bio-zertifiziert.