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Frau und Beruf: Die Mutmacherinnen

Lese­dau­er 5 Minu­ten

Die Kon­takt­stel­le Frau und Beruf Neckar-Alb mit Sitz in Reut­lin­gen ist Teil eines Lan­des­pro­gram­mes Baden-Württemberg. Sie bie­tet Frau­en indi­vi­du­el­le Bera­tung zu allen beruf­li­chen Fra­gen, von der beruf­li­chen Ori­en­tie­rung über den Wie­der­ein­stieg bis zur beruf­li­chen Wei­ter­ent­wick­lung. Eine auch aus nach­hal­ti­ger Sicht immens wich­ti­ge Aufgabe.

Die UN ver­ab­schie­de­te 2015 17 Zie­le für nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung (eng­lisch Sus­tainable Deve­lo­p­ment Goals, SDG). Das SDG Num­mer 5 ist gen­der equa­li­ty: „Gleich­stel­lung der Geschlech­ter“. Frau­en zu för­dern, sie gerecht zu ent­loh­nen und ihnen beruf­li­che Wei­ter­ent­wick­lung zu ermög­li­chen ist nicht nur des­halb ein wich­ti­ger Bestand­teil einer jeden nach­hal­ti­gen Unter­neh­mens­stra­te­gie und wird somit eingefordert.

 Die trau­ri­ge Wahr­heit: Seit Jahr­zehn­ten dis­ku­tie­ren wir über die Gen­der­lü­cke, haben aber die Gleich­stel­lung von Frau­en und Män­nern in vie­len Punk­ten noch nicht umge­setzt. So konn­te etwa die Ein­kom­mens­lü­cke zwi­schen den Geschlech­tern bis heu­te nicht zufrie­den­stel­lend geschlos­sen werden.

Die Kon­takt­stel­len Frau und Beruf sind auch Ansprech­part­ne­rin­nen für die Wirt­schaft und für Unter­neh­men, die sich für Chan­cen­gleich­heit und die beruf­li­che Frau­en­för­de­rung ein­set­zen. Dazu gehö­ren Partner-Netzwerke, Kon­takt­pfle­ge und Ver­bin­dun­gen zu ande­ren, rele­van­ten Netz­wer­ken und Koope­ra­tio­nen her­zu­stel­len, um die Gleich­stel­lung von Frau­en im Berufs­le­ben zu fördern.

Gesi­ne Hungerland

Auf der soli­den Basis aus mehr als 25 Jah­ren Mit­ar­beit lei­tet Gesi­ne Hun­ger­land die Kon­takt­stel­le Reut­lin­gen. Dr. Ulri­ke Land­mann und Brit­ta Sai­le sind als Bera­te­rin­nen im Länd­le unter­wegs. Mit ihnen unter­hielt ich mich online über die zahl­rei­chen Auf­ga­ben, die die ins­ge­samt fünf Mit­ar­bei­te­rin­nen enga­giert und mit viel Herz­blut betreu­en. Um ein paar Zah­len zu nen­nen: 2021 wur­den 504 Bera­tungs­ge­sprä­che durch­ge­führt, davon 257 Intensivberatungen.

Wie ent­stand das Netz­werk der Kon­takt­stel­len Frau und Beruf?

Das Lan­des­pro­gramm gibt es seit über 25 Jah­ren, her­vor­ge­gan­gen aus einem Modell­pro­jekt, damals noch für klei­ne­re und mitt­le­re Unter­neh­men und Wie­der­ein­stei­ge­rin­nen. Das hat sich im Lau­fe der Zeit immer mehr aus­dif­fe­ren­ziert. Inzwi­schen gibt es in Baden-Württemberg flä­chen­de­ckend Kon­takt­stel­len, zum Teil mit sehr gro­ßen Ein­zugs­ge­bie­ten. Wir in Reut­lin­gen sind für die drei Land­krei­se Tübin­gen, Reut­lin­gen und Zol­lernalb zuständig.

Dr. Ulri­ke Landmann

Im Kreis sind wir die ein­zi­ge Anlauf­stel­le, die bei beruf­li­cher Ori­en­tie­rung hilft, ohne ein Amt zu sein. Wir sind kei­ne Behör­de, und wir sind neu­tral. Wer kei­ne Daten ange­ben möch­te, kann sich bei uns auch anonym bera­ten las­sen. Das ist ele­men­tar und unter­schei­det uns.

Wie ist die Kon­takt­stel­le vernetzt?

Wir arbei­ten viel in Koope­ra­tio­nen. Wir sind eng ver­netzt mit der Arbeits­agen­tur, mit den Land­rats­äm­tern, mit den Kam­mern. Wir sind im Arbeits­kreis vom Euro­päi­schen Sozialfonds.

Unser Anstel­lungs­trä­ger ist die Volks­hoch­schu­le. Das hat Vor­tei­le: Wir haben einen sehr nie­der­schwel­li­gen Zugang. Das Image ist eher ein Boden­stän­di­ges, der VHS ver­traut man. Dadurch errei­chen wir alle Frau­en. Unser Ziel war zum Bei­spiel immer, in der Bera­tung Frau­en mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund antei­lig der Bevöl­ke­rung abzu­bil­den. Das sind in Reut­lin­gen um die 30 Pro­zent, und das ist uns auch gut gelungen.

Wie erfährt man von den Bera­tungs­an­ge­bo­ten der Kon­takt­stel­le? Wo holen sie die Frau­en ab?

Man muss unter­schei­den. Es gibt Frau­en in den Inte­gra­ti­ons­kur­sen, deren Deutsch noch nicht sehr gut ist. Da hilft Mund­pro­pa­gan­da. Zum Bei­spiel geht eine Mit­ar­bei­te­rin in die Kur­se und stellt unse­re Ange­bo­te vor. Wir haben auch Qua­li­fi­zie­rungs­lehr­gän­ge für Migran­tin­nen. Dafür sind wir in der Regi­on bekannt. Unse­re Vor­aus­set­zun­gen sind, dass die Frau­en so viel Deutsch kön­nen, dass man sie bera­ten kann.

Wir holen die Frau­en in den Sprach­kur­sen ab und – für uns ganz wich­tig! – egal wel­chen Alters, wel­cher Hin­ter­grund, wel­che Reli­gi­on, etc. Wir schau­en hin, in wel­cher Lebens­welt sie sind. Dar­un­ter sind auch Frau­en, die sehr gebil­det, aber des Deut­schen noch nicht mäch­tig sind.

Die Kon­takt­stel­le ist erreich­bar über unse­re Web­site www.frauundberuf-rt.de sowie über Face­book und Lin­ke­dIn. Wei­te­re Infos gibt es über unse­ren News­let­ter und die Amtsblätter.

Wir bie­ten allen inter­es­sier­ten Frau­en Ein­mal­be­ra­tun­gen, so ist es vom Land vor­ge­se­hen. Wie­der­ho­lungs­be­ra­tun­gen sind von Fall zu Fall mög­lich. Aber alles, was in Rich­tung Coa­ching und All­tags­be­glei­tung geht, kön­nen wir nicht leisten.

Eine Frau möch­te nach Jah­ren zurück ins Berufs­le­ben, sich ver­än­dern, weiß aber noch nicht genau, wohin die Rei­se gehen soll…

Ja, das ist eine ganz häu­fi­ge Fra­ge, meist von Frau­en ab Mit­te 40, 50, wo sich die Sinn­fra­ge stellt. Müt­ter, die nach 20 Jah­ren wie­der ein­stei­gen wol­len, sagen, ich habe zwar einen Beruf, aber der hat mir nicht wirk­lich Spaß gemacht. Dann ist es wich­tig zu schau­en, was ist rea­lis­tisch, mach­bar, wel­cher Wunsch besteht, wobei erst­mal gilt: Alles ist mög­lich. Aber es ist auch wich­tig, davon leben zu können.

Wir ver­ste­hen uns als Lot­sen. Oft geht es in der Stun­de, die wir für indi­vi­du­el­le Bera­tung haben, den Frau­en mehr dar­um, sich zu sortieren.

 Was spielt das Alter für eine Rolle?

Häu­fig schwingt bei Ü 40 die Befürch­tung mit, will mich über­haupt noch jemand? Wir ver­wei­sen ger­ne auf die Vor­tei­le von Berufs- und Lebens­er­fah­rung. Es gibt Senioren-Azubis, die noch eine Aus­bil­dung machen. Man hat ja heu­te mit Mit­te 50 min­des­tens noch zehn Jah­re Arbeits­le­ben vor sich. Und der Arbeits­markt und sei­ne Anfor­de­run­gen ver­än­dern sich ja stän­dig. Lebens­lan­ges Ler­nen ist wichtig.

Auch für Frau­en gilt, am Ball zu blei­ben, am bes­ten mit Freu­de am Ler­nen und Wei­ter­bil­den. In der Erwach­se­nen­bil­dung hat sich zudem viel getan. Frü­her galt: Was Häns­chen nicht lernt, lernt Hans nim­mer­mehr. Heu­te weiß man, dass das nicht stimmt. Und: Die Jun­gen sind schnel­ler, die Alten ken­nen die Abkürzungen.

Wie ste­hen Sie in Kon­takt mit Unternehmen? 

Wir haben bei­spiels­wei­se ein For­mat, wo wir mit zir­ka zehn Frau­en in die Unter­neh­men gehen und uns mit Geschäfts­füh­rung oder Fach­kräf­ten unter­hal­ten. Wir stel­len fest, dass man­ches Unter­neh­men nicht vor­ran­gig auf Qua­li­fi­ka­ti­on schaut und mehr dar­auf, ob die Per­son zum Unter­neh­men passt.

Sobald es pan­de­mie­be­dingt mög­lich ist, neh­men wir das For­mat wie­der auf und freu­en uns auch über Ein­la­dun­gen aus Unternehmen.

Sind Frau­en auf Arbeits­su­che unsi­che­rer als Männer? 

Was wir oft erle­ben: Es gibt eine Stel­len­aus­schrei­bung mit zehn Anfor­de­run­gen, und wenn eine davon nicht erfüllt ist, bewirbt frau sich nicht. Da sind Män­ner fre­cher. Mut machen gehört zu unse­rer Arbeit.

Sie haben auch ein Gründerinnen-Netzwerk aufgebaut.

Das sind über 160 Frau­en, die grün­den wol­len und Frau­en, die schon län­ger Unter­neh­me­rin­nen sind. The­men­be­rei­che bis­lang sind Coa­ching, Design, Pro­duk­ti­on, klei­ne Geschäf­te, Ein­zel­un­ter­neh­me­rin­nen, Solo­selbst­stän­di­ge. Unser Haupt­ziel ist: Ver­netzt euch! Wir haben sechs Netz­werk­aben­de pro Jahr, immer mit einem Impuls und Exper­tin­nen aus dem Netz­werk. Vor­ab fra­gen wir, was am meis­ten inter­es­siert. (Wei­te­re Ver­an­stal­tun­gen gibt es hier)

Wie sieht es mit den The­men Nach­hal­tig­keit, Gen­derg­ap, etc. aus?

Unse­re Kol­le­gin Brit­ta Sai­le bie­tet ein For­mat „Grü­ne Jobs“ an. Da wird stets sehr leb­haft dis­ku­tiert über fai­re Unter­neh­men, wie defi­nie­re ich grün?, was ist Nach­hal­tig­keit?, wo möch­te ich ger­ne arbeiten?.

Gleich­stel­lung im Beruf ist nach wie vor ein schwie­ri­ges, nicht gelös­tes The­ma. Grö­ße­re Unter­neh­men legen mitt­ler­wei­le Wert auf Diver­si­ty und Gen­der; sie muss­ten mit der Zeit gehen, das klei­ne­re Unter­neh­men auf der Alb nicht unbe­dingt. Das betrifft sowohl Frau­en als auch Älte­re. Da muss sich – Stich­wort demo­gra­phi­scher Wan­del – noch was tun.

Nur weil wir mei­nen, dass es für Frau­en mehr Teil­ha­be und Gerech­tig­keit am Arbeits­markt geben soll­te, ist das für ein Unter­neh­men noch lan­ge kein Grund, das umzusetzen.

Aber es ist doch so: Frau­en machen mehr als 50 Pro­zent der Bevöl­ke­rung aus; in den für Arbeit rele­van­ten Alters­grup­pen liegt das Ver­hält­nis eben­falls bei zir­ka fünfzig-fünfzig. Ohne die Frau­en bes­ser in den Arbeits­markt zu inte­grie­ren, wer­den wir all die not­wen­di­gen Maß­nah­men für mehr Nach­hal­tig­keit nicht umset­zen können.

Zu guter Letzt unser klei­ner neckar-alb.blog Fra­ge­bo­gen an Ulri­ke Landmann

Wel­ches Auto fah­ren Sie?

“Form fol­lows func­tion”: Ein altes Modell, das mich als Zug­er­satz sicher von A nach B bringt.

Wel­che klei­ne Bio­sün­de gön­nen Sie sich?

Zitrus­früch­te und Man­gos statt sai­so­na­lem und regio­na­lem Obst.

Wie sieht die Welt von mor­gen aus?

Bunt, fried­lich, gerecht.

Ihre Emp­feh­lung für einen wei­te­ren Blogbeitrag?

Ein Bei­trag über jun­ge (Schüler-)Start-ups mit grü­nen Ideen/Klimaschutz-Ideen sowie über die Bewer­be­rin­nen beim Fema­le Foun­ders Cup und ande­ren Wett­be­wer­ben, unter ande­rem unse­rem Ele­va­tor Pitch im Okto­ber 2022.

Text: Elke Schwarzer

Bil­der: Kon­takt­stel­le Frau und Beruf

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