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Nachhaltiger Espresso

Lese­dau­er 7 Minu­ten

Vor eini­gen Wochen mel­de­te sich beim Neckar-Alb-Blog das Start-Up Legend Espres­so aus Tübin­gen. Legend Espres­so hat sich die Ent­wick­lung einer „kon­se­quent nach­hal­ti­gen High-End Espresso-Maschine, die wei­test­ge­hend aus recy­cel­ten und nach­wach­sen­den Roh­stof­fen her­ge­stellt sein soll,“ auf die Fah­ne geschrie­ben. Nach­hal­ti­ge Espresso-Maschinen? Wir waren neu­gie­rig — und so fuhr ich nach Tübin­gen ins Fran­zö­si­sche Viertel.

Legend Espres­so hat sei­ne Räu­me dort in einer ehe­ma­li­gen Reit­hal­le, die es sich mit ande­ren Start-Ups teilt. Die Atmo­sphä­re ist sehr infor­mell: Ein Vor­raum mit Stüh­len und Sofas – an zen­tra­ler Stel­le eine Kaf­fee­the­ke (mit einer kon­ven­tio­nel­len Espresso-Maschine).

Frankenstein

Ver­ab­re­det war ich mit Mar­tin Zobel, sein Kol­le­ge Mat­ti Marsch stieß hin­zu. Wir einig­ten uns schnell aufs Du. Stolz zeig­ten mir die bei­den in ihrer Werk­statt das Labor-Modell ihrer geplan­ten Espresso-Maschine: Fran­ken­stein.
Auf einem dicken Brett, das als Grund­la­ge dient, ist ein wei­te­res ver­ti­kal auf­ge­schraubt. Vorn am senk­rech­ten Brett ist der Brüh­kopf befes­tigt. Dahin­ter befin­den sich Edelstahl-Rohre, Pum­pe, Heiz­ele­men­te und wei­te­re Elektronik-Bauteile. An Fran­ken­stein ange­schlos­sen sind ein Mess­ge­rät und ein Note­book.
Natür­lich wird die fer­ti­ge Maschi­ne so nicht aus­se­hen, aber zum Expe­ri­men­tie­ren ist ein offe­ner Auf­bau ohne Gehäu­se bes­ser geeig­net.
An der Wand hängt ein Bild des geplan­ten Gehäu­ses in ele­gan­tem Design. „Nicht foto­gra­fie­ren“, bit­tet mich Martin.

 

 

 

 

Nachhaltige Eigenschaften

Ich bin beken­nen­der Laie, was Espresso-Maschinen betrifft: Was ist an den Espresso-Maschinen, die ich momen­tan im Laden kau­fen kann, nicht nach­hal­tig?
Mar­tin zählt eini­ge Punk­te auf:

  • Kon­ven­tio­nel­le Maschi­nen haben rela­tiv gro­ße Was­ser­be­häl­ter. Die­se Was­ser­be­häl­ter wer­den auf hoher Tem­pe­ra­tur gehal­ten, wenn die Maschi­ne ein­ge­schal­tet ist. Dadurch kann bei Bedarf der Espres­so schnell gebrüht wer­den. Aber die­ses Warm­hal­ten kos­tet Strom. Um dies zu ver­bes­sern, will Legend Espres­so einer­seits eine hohe Tem­pe­ra­tur­sta­bi­li­tät (wie bei High-End Gastro-Maschinen) errei­chen und ande­rer­seits nicht die dafür übli­chen 8–12 Liter hei­ßes Was­ser vor­hal­ten müs­sen. Bei opti­ma­ler Iso­lie­rung soll ein hal­ber Liter hei­ßes Was­ser rei­chen. Eine Auf­ga­be für Tüftler.
  • Die ver­bau­ten Kom­po­nen­ten müs­sen nach­hal­tig sein – sowohl was ihre Her­kunft als auch ihre mög­li­che Ent­sor­gung betrifft. So ver­bie­ten sich z.B. Verbundstoffe.
  • Eine nach­hal­ti­ge Maschi­ne muss ein­fach zu war­ten und zu repa­rie­ren sein. Vie­le kon­ven­tio­nel­le Maschi­ne wer­den ent­sorgt, weil „die Repa­ra­tur sich nicht mehr lohnt”.

Die Visi­on von Legend Espres­so: Ein Gerät zu kon­stru­ie­ren, das so robust ist und des­sen Design so anspre­chend ist, dass es auch den Nach­kom­men noch Freu­de berei­tet, — und ein Gerät, das ein durch Anlei­tun­gen und Vide­os geschul­ter Laie selbst zusam­men­set­zen und aus­ein­an­der­neh­men kann. Dazu gehört auch, dass Steuerungs-Software als Open Source (öffent­lich zugäng­li­cher Quell-Code) zur Ver­fü­gung gestellt wer­den soll.

Herausforderungen

Der Teu­fel liegt wie so oft im Detail:

  • Wer nach­hal­ti­ge Kom­po­nen­ten ver­bau­en möch­te, braucht Lie­fe­ran­ten, die selbst nach­hal­ti­ge Lie­fer­ket­ten nut­zen und nach­hal­tig pro­du­zie­ren. Hier­für sucht Legend Espres­so noch nach wei­te­ren Partnern.
  • Die genutz­ten Kom­po­nen­ten müs­sen lang­le­big sein. Mar­tin Zobel nennt ein Bei­spiel: „Die ein­ge­bau­te Pum­pe wird in der Dia­ly­se ver­wen­det. Die ist auf 50.000 Stun­den Dau­er­lauf konzipiert.”
  • Die Kom­po­nen­ten müs­sen, falls sie doch aus­fal­len soll­ten, wie­der­be­schafft wer­den kön­nen. Des­halb muss Legend Espres­so auf lang­fris­tig ver­läss­li­che Lie­fe­ran­ten und nor­mier­te, häu­fig ver­wen­de­te Bau­tei­le achten.

Daher möch­te die Öffent­lich­keits­ar­beit des Teams im Augen­blick weni­ger poten­ti­el­le Kun­den als poten­ti­el­le Part­ner ansprechen.

Nachhaltiger Espresso?

Vor dem Tref­fen erzähl­te ich einer Bekann­ten, ich wür­de eine Fir­ma besu­chen, die nach­hal­ti­ge Espresso-Maschinen her­stel­len möch­te. Sie wink­te nur ab: „So etwas ist doch witz­los, da schon die Pro­duk­ti­on der Kaffee-Bohnen nicht nach­hal­tig ist.“
Mar­tin und Mat­ti sind sich die­ses Pro­blems wohl bewusst. Aller­dings ist ihnen die­se Aus­sa­ge zu pau­schal: Auch beim Röst­kaf­fee habe sich im Hin­blick auf Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen und Nach­hal­tig­keit viel getan. Sie gehen auch davon aus, dass ihre Maschi­ne über­wie­gend Käu­fer anspre­chen wer­de, die schon lan­ge beim Kauf von Kaf­fee dar­auf ach­ten, dass die­ser fair und mög­lichst nach­hal­tig pro­du­ziert wur­de.
Dage­gen sehen sie wenig Ent­wick­lung bei den kon­ven­tio­nel­len Espresso-Maschinen: Zwar sei­en die Gerä­te inzwi­schen durch Touch-Screen und Bedie­nung über App moder­ni­siert wor­den, an der Tech­nik inner­halb der Maschi­ne habe sich jedoch wenig geän­dert. Bei der Aus­wahl der Mate­ria­li­en, Wart­bar­keit und Lang­le­big­keit plant Legend Espres­so eini­ges in Rich­tung Nach­hal­tig­keit vor­an­zu­brin­gen.
Stellt sich noch die Fra­ge: Kann man Nach­hal­tig­keit mes­sen? Mar­tin und Mat­ti haben dar­über nach­ge­dacht und ori­en­tie­ren sich z.B. an der NGO Cradle-to-Cradle. Aller­dings machen Ziel­kon­flik­te eine ein­deu­ti­ge Bewer­tung von Design-Entscheidungen schwie­rig. Ein Bei­spiel: Edel­stahl ist einer­seits lang­le­big und gut recy­cle­bar. Ande­rer­seits ist Edel­stahl ein guter Wär­me­lei­ter, wodurch es schwie­ri­ger wird, Wär­me­ver­lus­te zu vermeiden.

Das fertige Produkt

Mar­tin Zobel und sei­ne Mit­strei­ter sind beken­nen­de Espresso-Fans. Des­halb geht es ihnen nicht nur um Nach­hal­tig­keit, son­dern auch dar­um, das Opti­mum aus dem gemah­le­nen Kaf­fee (auch als Kaf­fee­mehl bezeich­net) her­aus­zu­ho­len. Und da gibt es eini­ges zu tüf­teln.
Bei­spiel Druck: Idea­ler­wei­se soll­te die Fließ­ra­te des Was­sers durch das Kaf­fee­mehl kon­stant blei­ben. Dazu muss der Druck gesteu­ert wer­den: Zu Beginn des Brüh­vor­gangs wird mit nied­ri­gem Druck gestar­tet, damit das Was­ser nicht zu schnell durch das tro­cke­ne Mehl geschickt wird. Wenn das Mehl erst ein­mal auf­ge­quol­len ist, muss der Druck erhöht wer­den. Sobald das Was­ser sich Kanä­le durch das Mehl gebahnt hat, muss der Druck wie­der ver­rin­gert wer­den. Bei Fran­ken­stein kann der Druck durch einen mecha­ni­schen Hebel gesteu­ert wer­den. Und wenn der idea­le Druck­ver­lauf für eine Sor­te Kaf­fee­mehl gefun­den ist, kann er in der Elek­tro­nik abge­spei­chert wer­den.
Im Okto­ber die­ses Jah­res soll die Ent­wick­lung von Fran­ken­stein abge­schlos­sen sein. Das Team erwar­tet, dass es ein wei­te­res Jahr dau­ern wird, bis aus dem Labor­mo­dell ein ver­kaufs­fer­ti­ges Pro­dukt ent­stan­den ist und die Pro­duk­ti­on anlau­fen kann.
Ange­strebt wird eine ers­te Auf­la­ge von 300 Maschi­nen, die im eige­nen Online-Shop ver­kauft und 2025 gelie­fert wer­den sol­len. Das Ziel­pu­bli­kum sind pri­va­te Haus­hal­te.
Das Team kann sich vor­stel­len, danach das Produkt

  • wei­ter in Rich­tung Nach­hal­tig­keit zu entwickeln
  • für Kun­den aus der Gas­tro­no­mie anzupassen
  • in Klein­se­ri­en mit spe­zi­el­lem Design für Lieb­ha­ber aufzulegen

In jedem Fall wird die Legend Espres­so nicht am Fließ­band pro­du­ziert wer­den. Daher sucht das Start-Up noch nach Part­nern, die als Zulie­fe­rer agie­ren und/oder beim Zusam­men­bau der Maschi­nen mit­ar­bei­ten.
Manu­fak­tur hat aller­dings auch ihren Preis: Mar­tin Zobel rech­net mit unge­fähr 4000 Euro für eine fer­ti­ge Maschi­ne. Der Bau­satz für Kun­den, die sich die Maschi­ne selbst zusam­men­bau­en wol­len, wird güns­ti­ger sein.

Das Team

Das Team Legend Espres­so besteht aus 13 Per­so­nen.
Haben die sich alle mal beim Bier getrof­fen und beschlos­sen ein Start-Up zu grün­den?
Mar­tin wehrt ab: Er sei ein gro­ßer Espresso-Fan und habe die Idee gehabt, eine nach­hal­ti­ge Maschi­ne zu bau­en. Daher habe er meh­re­re Per­so­nen ange­spro­chen und mit der Zeit habe sich dar­aus ein Team gebil­det, in dem Men­schen aus ver­schie­de­nen Fach­ge­bie­ten zusam­men­ar­bei­ten.
Mar­tin zählt auf: Er selbst kommt aus dem Design. Mat­ti ist Exper­te für Lie­fer­ket­ten. Dane­ben gibt es wei­te­re Inge­nieu­re, Exper­ten aus ver­schie­de­nen Fach­be­rei­chen und einen Baris­ta. Sogar ein Pro­fes­sor für Ther­mo­dy­na­mik aus Wup­per­tal arbei­tet in sei­ner Frei­zeit mit.
Das Team ist sel­ten gemein­sam im sel­ben Raum: Die meis­ten Bespre­chun­gen wer­den als Video­kon­fe­renz abge­hal­ten.
Team-Mitglieder arbei­ten in der Regel nicht aus­schließ­lich für Legend Espres­so, die meis­ten haben einen Brot­be­ruf, man­che – wie Mar­tin – arbei­ten auch in ande­ren Start-Ups mit.
Der Anteil jedes Mit­glieds an einem zukünf­ti­gen Gewinn hängt vom Wert der indi­vi­du­el­len Arbeits­bei­trä­ge ab, der bei der Defi­ni­ti­on der Arbeits­pa­ke­te abge­schätzt wird.

Start-Up-Biotop

Erleich­tert wur­de die For­mie­rung des Teams durch die Umge­bung, in der Legend Espres­so ein­ge­bet­tet ist. Die Räum­lich­kei­ten sind als Co-Working-Space für Start-Ups aus­ge­legt: Wenn Platz ist, kann sich ein neu­es Team rela­tiv ein­fach ein­nis­ten.
Orga­ni­sa­to­risch und recht­lich ist Legend Espres­so Teil von your.company, einem Netz­werk, das Start-Ups bei der Grün­dung unter­stützt und gleich­zei­tig Dienst­leis­tun­gen, wie IT und Buch­hal­tung, zur Ver­fü­gung stellt. Die anfäng­li­chen Mit­glieds­bei­trä­ge sind nied­rig und erhö­hen sich erst, wenn ein Start-Up Gewin­ne macht.
Das Netz­werk ver­ein­facht auch die Suche nach Exper­tIn­nen, die für die Ver­wirk­li­chung einer Idee gebraucht werden.

Mein Fazit

Da ich selbst kein Espresso-Aficionado bin, habe ich am Anfang mit dem The­ma etwas gefrem­delt. Trotz­dem fand ich das Gespräch mit Mar­tin und Mat­ti spannend:

• Die Lust am Tüf­teln und die Freu­de über eine pfif­fi­ge Lösung konn­te ich sehr gut nachvollziehen.

• Die Fra­gen, die das Team Legend Espres­so beant­wor­ten muss, stel­len sich bei jedem Ver­such, ein nach­hal­ti­ges Pro­dukt zu ent­wer­fen: nach­hal­ti­ge Zulie­fe­rer, lang­le­bi­ge Bau­tei­le, nach­hal­ti­ge Pro­duk­ti­on, lang­fris­ti­ge Ver­sor­gung mit Ersatz­tei­len, ein­fa­che Repa­ra­tur, umwelt­freund­li­che Ent­sor­gung – am bes­ten in Kreis­lauf­wirt­schaft. Des­halb wer­de ich wei­ter­ver­fol­gen, wel­che Ant­wor­ten Legend Espres­so fin­den wird.

• Die Start-Up-Szene in Tübin­gen kann­te ich bis­her nicht. Daher war ich über­rascht von dem nie­der­schwel­li­gen Ange­bot an Räu­men und Basis­dienst­leis­tun­gen, wie Legend Espres­so sie vor­ge­fun­den hat. Ein Ansatz, um Start-Ups über die orga­ni­sa­to­ri­schen Hür­den einer Unter­neh­mens­grün­dung zu helfen.

Meine Gesprächspartner

Mar­tin Zobel

Mar­tin ist Desi­gner mit Leib und See­le und u.a. Dozent an der Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te Mün­chen im Fach­be­reich ‘Moti­on Design‘.
In den letz­ten zehn Jah­ren hat er meh­re­re Start-ups mit­ge­grün­det, die sich stets dem Ziel ver­schrie­ben, die gesell­schaft­li­che Trans­for­ma­ti­on aktiv mit­zu­ge­stal­ten.
Als zwei­fa­cher Vater sieht er immer kla­rer, wie drin­gend es ist, unse­re Res­sour­cen ver­ant­wor­tungs­be­wusst zu nut­zen.
Mar­tin hat sich als lei­den­schaft­li­cher (Hobby-)Barista jah­re­lang inten­siv mit Kaf­fee und des­sen Zube­rei­tung aus­ein­an­der­ge­setzt.
Aller­dings hadert er damit, dass der Genuss von Kaf­fee mit einem unver­hält­nis­mä­ßig hohen Ener­gie­auf­wand ein­her­geht.
Die Quint­essenz aus die­sem Dilem­ma führ­te schließ­lich zur Idee von Legend Espres­so.
Lieb­lings­fra­gen unse­res Blogs: Wel­ches Auto fährst Du und wel­che Umwelt­sün­de begehst Du?
Mar­tin fährt einen Turan und sei­ne bewusst began­ge­ne Umwelt­sün­de ist Kaffeetrinken.

Mat­ti Marsch

Mat­ti ist Exper­te für Lie­fer­ket­ten und ein pas­sio­nier­ter Kaffee-Nerd.
Sei­ne Bache­lor­ar­beit beschäf­tig­te sich damals mit der Unter­su­chung der Aus­wir­kung von Fer­men­ta­ti­on im Nachernte-Verfahren auf die Qua­li­tät und die Geschmacks-Nuancen von Kaf­fee. Sei­ne mitt­ler­wei­le lang­jäh­ri­ge Erfah­rung als Pro­dukt­ma­na­ger und sei­ne Exper­ti­se im Bereich „Spe­cial­ty Cof­fee“ sind ein abso­lu­ter Glücks­fall für Legend Espres­so. Mat­tis Schwer­punkt liegt im Auf­bau und Manage­ment des ERP/Warenwirtschaftssystems und nach­hal­ti­ger Lie­fe­ran­ten­struk­tu­ren — sowohl für die Pro­to­ty­pen als auch für die spä­te­re Seri­en­pro­duk­ti­on der Maschine.

Lieb­lings­fra­gen unse­res Blogs: Wel­ches Auto fährst Du und wel­che Umwelt­sün­de begehst Du?
Mat­ti fährt einen Lasten-e-Bike und kann sich im Win­ter das Snow-Boarding nicht verkneifen.

Text: Tho­mas Damrau

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