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Nachhaltigkeit aus Esslingen

Lese­dau­er 6 Minu­ten

Nach­hal­tig­keit ist ein Zukunfts­the­ma. Kein Zwei­fel. Doch woher kom­men die benö­tig­ten Exper­ten für Nach­hal­tig­keit? Wo ste­hen die Hoch­schu­len der Regi­on beim The­ma Nachhaltigkeit?

Dem neckar-alb.blog ist zunächst die Hoch­schu­le in Ess­lin­gen auf­ge­fal­len, die Nach­hal­tig­keit pro­mi­nent auf ihrer Web­site prä­sen­tiert. Auf mei­ne Anfra­ge erhielt ich eine Ein­la­dung zur Videokonferenz.

Gesprächs­part­ne­rin­nen waren Pro­fes­so­rin Car­la Cima­to­ri­bus und Anja Necker.

Prof. Car­la Cima­to­ri­bus, Umweltmanagement- und Nach­hal­tig­keits­be­auf­trag­te der HS Esslingen

Car­la Cima­to­ri­bus stu­dier­te zunächst Che­mi­sche Ver­fah­rens­tech­nik in Padua und pro­mo­vier­te danach in Stutt­gart über Rege­lungs­tech­nik für Abfall­be­hand­lungs­an­la­gen. Sie lehrt seit 2014 in Ess­lin­gen, hat zwei Mit­ar­bei­te­rIn­nen und gehört zur Fakul­tät Ange­wand­te Natur­wis­sen­schaf­ten, Energie- und Gebäu­de­tech­nik. Sie ist Umweltmanagement- und Nach­hal­tig­keits­be­auf­trag­te der Hochschule.

Anja Necker ist in Stutt­gart gebo­ren und stu­dier­te an der Uni Hohen­heim Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten mit der Ver­tie­fung Umwelt­ma­nage­ment. Sie arbei­tet seit 2010 für die Hoch­schu­le Ess­lin­gen. Als haupt­amt­li­che Umwelt­ma­na­ge­rin der Hoch­schu­le gehört sie zum Stab der Hochschulleitung.

Wie hat sich das The­ma Nach­hal­tig­keit in Ess­lin­gen entwickelt?

Aus­lö­ser war ein Öko-Audit nach EMAS, dem sich die Hoch­schu­le im Jahr 2012 unter­zo­gen hat. Dar­aus ent­stan­den meh­re­re Pro­jek­te. Ein Nach­hal­tig­keits­zen­trum wur­de ein­ge­rich­tet. Mit­te des letz­ten Jahr­zehnts ist das The­ma unter ande­rem wegen Per­so­nal­fluk­tua­ti­on etwas in den Hin­ter­grund getreten.

Anja Necker, Umwelt­ma­na­ge­rin der HS Esslingen

Die Pro­tes­te von Fridays-for-Future rück­ten das The­ma wie­der mehr in den Fokus, auch in der Indus­trie und in der Hochschulleitung.

Außer­dem sind die Jugend­li­chen, die heu­te auf die Stra­ße gehen, die Stu­den­tIn­nen von mor­gen: Nach­hal­tig­keit ist ein The­ma, mit dem die Hoch­schu­le für sich wer­ben möchte.

Seit 2010 trei­ben eini­ge Pro­fes­so­ren und Pro­fes­so­rin­nen Nach­hal­tig­keit vor­an. Die Gebäu­de­tech­nik war einer der ers­ten Stu­di­en­be­rei­che mit mehr Fokus auf öko­lo­gi­sche Aspek­te. In den letz­ten Jah­ren hat sich jedoch das Inter­es­se an allen Lehr­stüh­len noch ein­mal erhöht.

Unter den Hoch­schu­len gilt Ess­lin­gen heu­te als eine der Vor­rei­te­rin­nen in Sachen Nach­hal­tig­keit. Auch die früh­zei­ti­ge EMAS-Zertifizierung zeigt, dass die Hoch­schu­le bei­zei­ten am The­ma Nach­hal­tig­keit dran war. Den­noch ist Nach­hal­tig­keit kein Allein­stel­lungs­merk­mal für Ess­lin­gen – ande­re Hoch­schu­len haben sich noch deut­li­cher positioniert.

Wie hat sich das Ver­ständ­nis von Nach­hal­tig­keit entwickelt?

Zu Beginn des Jahr­hun­derts war Nach­hal­tig­keit ein eher tro­cke­ner Begriff. Der Zusam­men­hang zwi­schen öko­lo­gi­scher Nach­hal­tig­keit, sowie öko­no­mi­scher und sozia­ler Nach­hal­tig­keit wur­de über­se­hen. Die­se drei Aspek­te müs­sen aber gemein­sam ver­folgt werden.

Im Rah­men des Stu­di­um Gene­ra­le 2019 wur­de in einer Vor­trags­rei­he zu Kli­ma­wan­del und Umwelt­tech­nik die Ver­bin­dung zwi­schen Öko­lo­gi­schem, Öko­no­mi­schem und Sozia­lem beleuchtet.

Heu­te ver­steht man unter Nach­hal­tig­keit kei­ne Samm­lung von Ein­zel­fra­gen, son­dern eine inte­grier­te Trans­for­ma­ti­on von Wirt­schaft und Gesell­schaft. Die­ses Ver­ständ­nis kommt inzwi­schen in Hoch­schu­len und Wirt­schaft an.

So umfasst Nach­hal­tig­keit heu­te, zum Bei­spiel in der Bau­wirt­schaft, mehr als nur das Recy­cling von Beton. Inten­si­ve­re und län­ge­re Nut­zung von Gütern und Infra­struk­tu­ren gehö­ren eben­so dazu.

Durch Gebäu­de wer­den 30 Pro­zent der CO2-Emis­sio­nen erzeugt. Die tech­ni­schen Lösun­gen für deren Redu­zie­rung sind nicht wirk­lich neu – aber inzwi­schen hat das The­ma end­lich die nöti­ge Aufmerksamkeit.

Nach­hal­tig­keit hat die Betrie­be erreicht: Heu­te ver­ste­hen die Stu­den­tIn­nen nach ihrem Pra­xis­se­mes­ter die Wich­tig­keit öko­lo­gi­scher Aspek­te in Indus­trie und Unternehmen.

Sind Öko­no­mie und Öko­lo­gie vereinbar?

Hier ist noch viel zu tun. Heu­te wird meist ein Kom­pro­miss zwi­schen Öko­no­mie und Öko­lo­gie gesucht. Damit betriebs­wirt­schaft­li­che Über­le­gun­gen Öko­lo­gie ange­mes­sen berück­sich­ti­gen, müs­sen sich an vie­len Stel­len die Spiel­re­geln ändern. Die wah­ren öko­lo­gi­schen und sozia­len Kos­ten der Güter müs­sen sich im Preis widerspiegeln.

Aus volks­wirt­schaft­li­cher Sicht ist CO2 ein Pro­duk­ti­ons­fak­tor wie ande­re auch und muss bei der Gestal­tung von Steu­ern und Abga­ben berück­sich­tigt wer­den. So gehö­ren zu einer CO2-Steu­er auch CO2-Zöl­le (im Green Deal „CO2-Grenz­aus­gleichs­sys­tem“ genannt), um Pro­duk­ti­ons­ver­la­ge­run­gen in Län­der mit laxer Kli­ma­po­li­tik zu erschweren.

Natür­lich ist Öko­lo­gie auch eine ethi­sche Fra­ge: Unse­re Ein­stel­lung muss sich ändern, damit Öko­lo­gie nicht nur unter Kos­ten­ge­sichts­punk­ten berück­sich­tigt wird. Den­noch ist Geld ein wich­ti­ges Steue­rungs­in­stru­ment: Bei der Hoch­schul­in­fra­struk­tur hat Ess­lin­gen einen Rück­stau bezüg­lich ener­ge­ti­scher Sanie­rung, weil sie sich unter den gege­be­nen Rah­men­be­din­gun­gen nicht rechnet.

Für eine Kreis­lauf­wirt­schaft sind neue Geschäfts­mo­del­le nötig. Wenn künf­tig weni­ger Güter gekauft wer­den und statt­des­sen Fir­men die Nut­zung von Gütern als Dienst­leis­tung anbie­ten, bedarf dies ande­rer Finan­zie­rungs­mo­del­le. Das wird Anpas­sun­gen bei der Besteue­rung und bei der Kre­dit­ver­ga­be durch Ban­ken erfor­dern. Betriebs­wir­tIn­nen müs­sen mit die­sen neu­en Geschäfts­mo­del­len umge­hen können.

Wie wird Nach­hal­tig­keit in Ess­lin­gen gelehrt?

Der Lehr­plan soll­te nicht nur einen grü­nen Anstrich bekommen.

Die Hoch­schu­le will kei­ne Betriebs­wir­tIn­nen oder Inge­nieu­rIn­nen, die als Add-On Nach­hal­tig­keit stu­die­ren. Statt­des­sen soll­ten Nach­hal­tig­keits­grund­sät­ze inte­gra­ler Bestand­teil eines jeden Stu­di­en­gangs sein. Alle Stu­den­tIn­nen sol­len ler­nen, an ihrem künf­ti­gen Arbeits­platz mit der Begrenzt­heit von Res­sour­cen umzugehen.

Nach­hal­tig­keit wird in allen Berei­chen gelehrt. Den­noch gilt die Frei­heit von For­schung und Leh­re. Alle Dozen­tIn­nen bestim­men selbst, in wel­cher Form und in wel­chem Umfang sie Nach­hal­tig­keit leh­ren. Eini­ge Dozen­tIn­nen sind sehr enga­giert. Ande­re Lehr­stüh­le sind noch zurück­hal­tend — was dazu führt, dass in eini­gen Berei­chen Nach­hal­tig­keit eher Zusatz­kurs als inte­gra­ler Bestand­teil ist.

Pro­fes­so­rin Car­la Cima­to­ri­bus und Anja Necker ver­su­chen, die Inte­gra­ti­on von Nach­hal­tig­keit in die Lehr­plä­ne vor­an­zu­brin­gen, in dem sie im Rah­men des EMAS-Prozesses mit den Fakul­tä­ten das Gespräch suchen oder Kur­se zum Ken­nen­ler­nen der Sus­tainable Deve­lo­p­ment Goals anbieten.

Ist Nach­hal­tig­keit für Stu­den­tIn­nen wichtig?

Bei der Moti­va­ti­on der Stu­den­tIn­nen gibt es zwei Extre­me. Einer­seits füh­len sich vie­le Stu­den­tIn­nen der Fridays-for-Future Bewe­gung ver­bun­den und beschäf­ti­gen sich sehr bewusst mit Nach­hal­tig­keit. Die­se Grup­pe ist aber noch nicht die Mehr­heit. Die eher “kon­ser­va­ti­ven” Stu­di­en­an­fän­ge­rIn­nen müs­sen erst abge­holt werden.

Nach dem Stu­di­en­ab­schluss sehen sich die Stu­den­tIn­nen oft noch mit einer Rea­li­tät kon­fron­tiert, die anders ist als die an der Hoch­schu­le gelehr­te.  Im Augen­blick lan­den vie­le Bachelor-Arbeiten über Öko­bi­lan­zen in der Schub­la­de. Den­noch gibt es Anzei­chen, dass bald ein “Kipp­punkt” erreicht sein könn­te, nach dem die Stu­di­en­in­hal­te sehr viel rascher Ein­zug in die betrieb­li­che Pra­xis hal­ten werden.

Fra­gen Arbeit­ge­ber nach Absol­ven­tIn­nen mit Qua­li­fi­ka­tio­nen in Nachhaltigkeit?

Nach­hal­tig­keit all­ge­mein wird sel­ten in Stel­len­aus­schrei­bun­gen gefor­dert.  Arbeit­ge­ber fra­gen immer noch zunächst nach “har­ten” Kom­pe­ten­zen: Kön­nen die Inge­nieu­rIn­nen “rech­nen” und mit Tech­no­lo­gie umge­hen? Nach­hal­tig­keit wird von Fir­men als inter­es­san­te Zusatz­qua­li­fi­ka­ti­on gese­hen. Spe­zi­al­kennt­nis­se in Lieferketten-Management und Öko­bi­lan­zen wer­den inzwi­schen expli­zit gesucht.

Eine Ände­rung der gesetz­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen wird auf dem Arbeits­markt eine Nach­fra­ge nach Exper­tIn­nen gene­rie­ren, die in Nach­hal­tig­keit bereits aus­ge­bil­det sind.

Umge­kehrt beur­tei­len Absol­ven­tIn­nen ihre mög­li­chen Arbeit­ge­ber ver­stärkt nach deren Image im Bereich Nach­hal­tig­keit. (Dabei sehen Absol­ven­tIn­nen auch Work-Life-Balance als einen Aspekt von Nach­hal­tig­keit.) Da bei Inge­nieu­rIn­nen Fach­kräf­te­man­gel herrscht, kön­nen Arbeit­ge­ber die­se Erwar­tung nicht ignorieren.

Wie for­schen Sie zum The­ma Nachhaltigkeit?

Die Hoch­schu­le Ess­lin­gen betreibt kei­ne Grund­la­gen­for­schung und hat kein Pro­mo­ti­ons­recht – das bleibt den Uni­vers­tä­ten vorbehalten.

Ess­lin­gen arbei­tet aber in For­schungs­ver­bün­den mit Uni­ver­si­tä­ten zusam­men, zum Bei­spiel mit der Uni Tübin­gen im Bereich Ener­gie und Wind­ener­gie. Durch Koope­ra­tio­nen mit Uni­ver­si­tä­ten bie­ten sich Stu­den­tIn­nen Mög­lich­kei­ten zur Pro­mo­ti­on, betreut von der koope­rie­ren­den Uni.

Der Schwer­punkt der Hoch­schu­le liegt auf der ange­wand­ten For­schung, also der Umset­zung der Ergeb­nis­se der Grund­la­gen­for­schung in Pro­duk­te und Pro­jek­te – oft in Koope­ra­ti­on mit der Industrie.

Ver­bund­pro­jek­ten mit der Indus­trie kom­men meist nur zu Stan­de, wenn staat­li­che Stel­len die­se Pro­jek­te finan­zi­ell för­dern. Ledig­lich Daim­ler und Bosch finan­zie­ren Gemein­schafts­pro­jek­te direkt. Nach­fra­ge kommt vor allem aus der Automobil- und Bau­bran­che. Inter­es­sant für die Bau­in­dus­trie sind zum Bei­spiel Tech­ni­ken zur Daten­ana­ly­se von öko­lo­gi­schen Kenngrößen.

Was sind Forschungsschwerpunkte?

For­schungs­schwer­punk­te sind unter ande­rem Mobi­li­tät und nach­hal­ti­ge Energietechnik.

Eines von vie­len Bei­spie­len: Pro­fes­sor Ste­fan Rös­ler ent­wi­ckel­te für die Stadt Hei­del­berg einen digi­ta­len Zugang zu Mobi­li­täts­an­ge­bo­ten. Im Rah­men von Eco Fleet wird Mit­ar­bei­tern der Stadt über eine Smartphone-App die Aus­wahl und Buchung von nach­hal­ti­gen Mobi­li­täts­an­ge­bo­ten erleich­tert. Dazu muss­ten tech­ni­sche Schnitt­stel­len zu Pro­zes­sen wie Fuhrpark-Management und Dienstreise-Buchung geschaf­fen werden.

Zum The­ma Ener­gie­tech­nik gehört auch das Gebäude-Management. Bei der For­schung zum Energie-Management von öffent­li­chen Gebäu­den benutzt Ess­lin­gen die eige­ne Hoch­schul­in­fra­struk­tur als Real­la­bor. Das Land Baden-Württemberg rech­net dabei schon mit einem CO2-Preis von € 180 pro Ton­ne. Auf Grund der Erfah­run­gen wird erwar­tet, dass mit stei­gen­den CO2-Prei­sen der Zusam­men­hang zwi­schen Gebäude-Management und Kli­ma­ga­sen für ein brei­te­res Publi­kum inter­es­sant wer­den wird.

Auch an ande­rer Stel­le wer­den For­schungs­er­geb­nis­se an der Hoch­schu­le selbst umge­setzt: Das neue Hochschul-Gebäude in der West­stadt wur­de mit Blick auf Nach­hal­tig­keit gebaut und wird nun nach dem Bewer­tungs­sys­tem Nach­hal­ti­ges Bau­en zertifiziert.

Zuletzt ein klei­ner Fra­ge­bo­gen zum per­sön­li­chen Umgang mit Nachhaltigkeit

 

Prof. Cima­to­ri­bus

Frau Necker

Wel­ches Auto fah­ren Sie?

Fiat 500

Golf Com­bi

Wie wird Ihr Haus geheizt?

Öl

Gas

Wel­che Umwelt­sün­den leis­ten Sie sich?

Fleisch essen, ver­sucht zu reduzieren

Fleisch essen

Was ist ihre Defi­ni­ti­on von Nachhaltigkeit?

Ope­ra­ti­ves Kon­zept: Wahr­neh­mung von phy­si­ka­li­schen Gren­zen und ihre Inte­gra­ti­on in das eige­ne Tun

Nur so viel kon­su­mie­ren, wie nach­wächst. Die Nach­hal­tig­keits­zie­le der UNO

Tho­mas Damrau

Bil­der: Hoch­schu­le Esslingen

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