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Straubenhardts Erfolgsrezept: Alle ziehen nachhaltig mit

Lese­dau­er 6 Minu­ten

Immer wie­der mal lohnt ein Blick über den Neckar-Alb-Tellerrand. Wie zum Bei­spiel Rich­tung Enz­kreis, nach Strau­ben­hardt, der ers­ten baden-württembergischen „Crad­le to Cradle“-Modellgemeinde. Bür­ger­meis­ter Hel­ge Vieh­weg erzählt, wie es dazu kam und wie das nach­hal­ti­ge Prin­zip in der Gemein­de wirkt.

Was Strau­ben­hardt aus nach­hal­ti­ger Sicht so beson­ders macht

Strau­ben­hardts Bür­ger­meis­ter Hel­ge Viehweg

Die 11.500-Seelen-Gemeinde besteht aus sechs Dör­fern, land­schaft­lich schön gele­gen im Enz­kreis am nörd­li­chen Rand des Schwarz­walds. Nach­hal­ti­ges Han­deln wird hier nicht nur für die Zukunft geplant, son­dern schon lan­ge praktiziert.

Bereits 2001 wur­de dort ein in sei­ner Form lan­des­weit ers­tes Bio­mas­se­heiz­kraft­werk erstellt. Es folg­te der Auf- und Aus­bau von Pho­to­vol­ta­ik­an­la­gen, wor­aus 17 Pro­zent mehr instal­lier­te Leis­tung durch Son­nen­en­er­gie resul­tiert als es der Durch­schnitt von Baden-Württemberg zu pro­du­zie­ren vermag.

Mit sei­nen elf Wind­kraft­an­la­gen liegt Strau­ben­hardt voll im Trend und ist auch in Sachen Wind­ener­gie­ge­win­nung dem Lan­des­schnitt weit vor­aus. An den Wind­park wur­den zwei E‑Auto-Ladestationen angeschlossen.

Netz­werk Crad­le To Crad­le Regionen

2015 wur­de das Kreis­lauf­prin­zip Crad­le to Crad­le (C2C) im Gemein­de­rat vor­ge­stellt. Seit 2019 ist Strau­ben­hardt C2C-Modellgemeinde und Teil einer 2021 gegrün­de­ten C2C Regionalgruppe.

Das Netz­werk C2C Regio­nen möch­te durch krea­ti­ve Kreis­lauf­wirt­schaf­ten Rah­men­be­din­gun­gen für gesun­de Sied­lungs­stru­ku­ren schaf­fen, etwa durch geeig­ne­te Mate­ria­li­en, die man end­los wie­der­ver­wen­den kann. Gute Lösun­gen für Mensch und Umwelt sind Teil der C2C Phi­lo­so­phie. Das alles möch­te Strau­ben­hardt in ver­schie­de­nen Pro­jek­ten Schritt für Schritt realisieren.

Strau­ben­hardt ist dar­über hin­aus Teil der Initia­ti­ven „Fairtrade-Gemeinde“ Und „Kli­ma­po­si­ti­ve Städ­te und Gemeinden“.

Bür­ger­meis­ter von Strau­ben­hardt ist Hel­ge Vieh­weg, und das seit Juli 2013. Wie­der­ge­wählt wur­de er im April 2021, die Bestä­ti­gung „für mei­ne Spin­ne­rei­en und dass sie mit­ge­tra­gen wer­den“. Dabei legt das SPD-Mitglied größ­ten Wert auf par­tei­über­grei­fen­de Zusammenarbeit.

Herr Vieh­weg, wie kommt man als Bür­ger­meis­ter dar­auf, Crad­le to Crad­le als nach­hal­ti­ges Prin­zip in der Gemein­de zu verankern?

Ich habe 2015 Prof. Dr. Micha­el Braun­gart, Mit­be­grün­der der C2C Bewe­gung, bei einer IHK Nord­schwarz­wald Ver­an­stal­tung zum The­ma „Gewer­be­ge­bie­te der Zukunft“ ken­nen­ge­lernt. Er war dort Gast­red­ner. Und ich erhoff­te mir neue Ideen über das Übli­che „wir brau­chen mehr Flä­che, wir brau­chen mehr Gewer­be“ hin­aus. Zunächst sah es nicht danach aus, dass ich fün­dig werde.

Doch dann sprach gegen Ende Herr Braun­gart. Er sag­te sinn­ge­mäß, ihr seid alle schon so weit ver­fes­tigt in Eurem Den­ken, macht ein­fach wei­ter so. Aber ich erzäh­le Ihnen jetzt trotz­dem mei­ne Geschich­te. Er stell­te das Modell von C2C vor. Und ich habe es ein­fach super gefun­den. Ich habe ihn ange­spro­chen, und wir sind bis heu­te in Kon­takt. An einem Abend stell­te er C2C unse­rem Gemein­de­rat vor. Es wur­de leb­haft und lan­ge dis­ku­tiert. Danach war allen klar, wir wol­len das machen.

Ohne die­sen auf­ge­schlos­se­nen Gemein­de­rat, partei- und frak­ti­ons­über­grei­fend, ohne die brei­te Unter­stüt­zung in unse­rer Ver­wal­tung, hät­te das nicht funktioniert.

Pro­blem: C2C ist sehr erklä­rungs­be­dürf­tig. Wie holen Sie die Bür­ger ab?

Denen sag ich, dass ich den Begriff auch nicht so super fin­de. Braun­gart mein­te, ihr könnt auch von der Nudel zur Nudel sagen. Es kommt mehr drauf an, dass man die­se ande­re Idee dahin­ter ver­steht, dass wir in Kreis­läu­fen den­ken, und dass es nicht nur das Bau­en betrifft, son­dern alle Berei­che, dass wir Mate­ria­li­en und Din­ge nut­zen soll­ten, die qua­li­ta­tiv gut sind, die gut tun und die alle im Kreis­lauf blei­ben und kei­nen Müll ver­ur­sa­chen. Sodass wir dann auch nicht mit schlech­tem Gewis­sen durch die Welt gehen, und sagen: Macht weni­ger, nutzt weni­ger, schränkt euch ein, son­dern: Nutzt mit Freu­de mehr davon. Wie man das dann nennt, ist am Ende egal. Und ja, ich konn­te Bür­ger abho­len, bei aller Skep­sis, die natür­lich auch vor­han­den war.

Mei­ne Wie­der­wahl ist Bestä­ti­gung mei­nes Kur­ses. Die Men­schen, die das nicht mögen, müs­sen dann halt in acht Jah­ren flei­ßig zur Wahl gehen und für eine Alter­na­ti­ve kämpfen.

Was war das ers­te C2C Pro­jekt? Wei­te­re Bei­spiel, Ideen?

Das neue Feuerwehrhaus

Wir sind gleich mit einem ambi­tio­nier­ten Pro­jekt gestar­tet, unse­rem Feu­er­wehr­haus. Die Pla­nung für ein neu­es Feu­er­wehr­haus stand genau zu die­sem Zeit­punkt, 2017, an. Und der Gemein­de­rat sag­te, dann set­zen wir das doch gleich unter C2C Aspek­ten um. Wir fan­den einen geeig­ne­ten Stand­ort, der die­ses Nach­hal­tig­keits­prin­zip erfüll­te. Das Bau­en erfolg­te zwar noch nicht in nach­hal­ti­ger Ide­al­form – denn unter ande­rem muss­ten wir uns an die Nor­men und Anfor­de­run­gen des Brand­schut­zes hal­ten. Aber wir konn­ten vie­les berück­sich­ti­gen: etwa kei­ne Ver­kle­bun­gen, kei­ne gif­ti­gen Mate­ria­li­en, unver­putz­ter Sicht­be­ton, unbe­han­del­tes Holz, damit sich die Bau­stof­fe spä­ter wie­der­ver­wen­den lassen.

Ein gro­ßes Ziel ist, dass so vie­le Kom­mu­nen und Städ­te und Men­schen wie mög­lich kei­ne Gift­stof­fe, kei­nen Müll mehr wol­len, und wir auch bereit sind, für den Anfang mehr dafür aus­zu­ge­ben. Das ist zuge­ge­be­ner­ma­ßen noch Uto­pie, aber es zie­hen immer mehr mit.

Das ist der Weg. Und der geht noch wei­ter: Unser Gewer­be­ge­biet der Zukunft soll ein C2C Gewer­be­ge­biet sein. Mit dem gro­ßen Anspruch, dass die Flä­che, die ver­sie­gelt wird, die glei­che Arten­viel­falt dar­stel­len kann wie die zuvor unver­sie­gel­te Fläche.

Wie kann das gelingen?

Indem die Gebäu­de an sich Mate­ri­al­la­ger sind, kei­ne Müll­de­po­nien mehr. Indem die Fas­sa­den begrünt sind und sich dort Vögel, Insek­ten, Pflan­zen ansie­deln. Indem es ein klu­ges Was­ser­ma­nage­ment gibt, die Kreis­läu­fe mit ein­ge­plant sind. Dann kann das funktionieren.

Aber das Bud­get kön­nen Sie ja nicht außer Acht lassen.

Wir Schwa­ben den­ken ja viel in „was kos­tet es“ und weni­ger in „wie viel Müll macht das“. Bei Pro­duk­ten des täg­li­chen Lebens ist das noch okay. Wenn ich für ein C2C Toi­let­ten­pa­pier das Vier­fa­che bezah­le, dann geht das nicht auf. Aber für ein gutes Pro­dukt, in dem viel For­schung drin­steckt, kann man höhe­re Kos­ten ver­ant­wor­ten. Eigent­lich müss­ten wir dahin kom­men, dass es sich für Her­stel­ler nicht mehr lohnt, für die Müll­hal­de zu produzieren.

Wie funk­tio­niert C2C Verwaltung? 

Wir sind dran, neue Beschaf­fungs­richt­li­ni­en zu for­mu­lie­ren, also genau­er hin­zu­schau­en, wo die Pro­duk­te her­kom­men, was ihre Bestand­tei­le sind. Gro­ße Wider­stän­de, im Sin­ne von, jetzt muss man das auch noch machen, erle­be ich nicht, eher Reak­tio­nen wie „eine inter­es­san­te Idee!“. Also auch da abso­lu­te Aufgeschlossenheit.

Im Fach­be­reich Bau­en und Woh­nen wer­den wir Umstruk­tu­rie­run­gen vor­neh­men, um Nach­hal­tig­keit, Kli­ma­schutz und C2C bes­ser ver­bin­den zu kön­nen. C2C soll dabei nicht zum Dog­ma wer­den, wir kön­nen auch ande­re nach­hal­ti­ge Wege gehen.

Und wir pla­nen, uns Fach­wis­sen Nach­hal­ti­ges Manage­ment ins Haus zu holen.

Gibt es eine Zusam­men­ar­beit mit angren­zen­den Gemeinden?

Authen­tisch sein und dabei Zukunft anders den­ken: Anfangs haben wir das tat­säch­lich für uns gemacht. Es ging uns auch um ein Allein­stel­lungs­merk­mal für Strau­ben­hardt. Der nächs­te logi­sche Schritt ist aber, dass wir die Idee und unse­re Erfah­run­gen nun wei­ter­tra­gen. Der Enz­kreis hat sich schon mal bei uns umge­schaut, aber das kann man noch stei­gern. Ich sag mal diplo­ma­tisch, da ste­hen wir noch am Anfang. Ich neh­me umlie­gend noch kei­ne Begeis­te­rung wahr, aber auch kei­ne Ableh­nung. Natür­lich brau­chen wir stär­ke­re Ver­net­zung. Ich schaue auch nach Karls­ru­he, da gibt es bestimmt noch vie­le Mög­lich­kei­ten, etwa durch For­schungs­pro­jek­te, Nach­hal­tig­keit gemein­sam anzu­pa­cken. Und ich träu­me von einer gemein­sa­men Inno­va­ti­ons­platt­form; dafür brau­chen wir Mitstreiter.

Füh­len Sie sich von Land und Bund genü­gend unterstützt?

Ich sehe zumin­dest ein Inter­es­se. Immer­hin hat Minis­ter­prä­si­dent Win­fried Kret­sch­mann die Bau­stel­le unse­res Feu­er­wehr­hau­ses besucht. Er hat gesagt, das wird Schu­le machen. Das habe ich abge­spei­chert, und dar­an wer­de ich ihn bei Zeit erin­nern. Ich möch­te dafür sor­gen, dass das in die Lan­des­bau­ord­nung mit auf­ge­nom­men wird.

Bil­der: Ange­la Gewie­se (Scha­fe), Gemein­de Straubenhardt

Zu guter Letzt unser klei­ner neckar-alb.blog Fra­ge­bo­gen  an Hel­ge Viehweg

Wie beein­flusst C2C Ihren Alltag? 

Ich hab frü­her nie so genau hin­ge­schaut, was ich jetzt mache, etwa bei Rei­ni­gungs­mit­tel. Und wir haben auf Dusch­sei­fen umge­stellt. Wobei, ich bin da ein biss­chen Prin­zes­sin, ich mag da nicht alles, es muss trotz­dem gut riechen.

Wel­ches Auto fah­ren Sie? 

Wir hat­ten frü­her zwei Autos, heu­te nur noch eins, aller­dings einen Die­sel, weil wir Pfer­de und ande­re Nutz­tie­re haben, und der Anhän­ger muss gezo­gen werden.

Wel­che klei­ne Bio­sün­de gön­nen Sie sich? 

Ich geste­he, ich habe auch schon eine Schiffs­rei­se gemacht, weil ich so ger­ne auf dem Meer bin. Ich fand’s toll. Wobei man kann das ja auch so sehen: Da sind 3.000 Leu­te auf einem Schiff, die eine Woche kein Auto fah­ren – ein klein wenig CO2 Kom­pen­sa­ti­on. 

Wie sieht die Welt von mor­gen aus? 

Ich sehe mich in einer Droh­ne, die ich nicht steu­ern muss, und wäh­rend ich ein Buch lese, für das kein Baum ster­ben muss­te, bringt sie mich an einen schö­nen Ort.

Ihre Emp­feh­lung für einen wei­te­ren Blogbeitrag?

Dr.-Ing. Peter Mös­le, ein rüh­ri­ger Fach­mann für nach­hal­ti­ges Bau­en und Geschäfts­füh­rer von EPEA.

Text: Elke Schwar­zer

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