Immer wieder mal lohnt ein Blick über den Neckar-Alb-Tellerrand. Wie zum Beispiel Richtung Enzkreis, nach Straubenhardt, der ersten baden-württembergischen „Cradle to Cradle“-Modellgemeinde. Bürgermeister Helge Viehweg erzählt, wie es dazu kam und wie das nachhaltige Prinzip in der Gemeinde wirkt.
Was Straubenhardt aus nachhaltiger Sicht so besonders macht
Die 11.500-Seelen-Gemeinde besteht aus sechs Dörfern, landschaftlich schön gelegen im Enzkreis am nördlichen Rand des Schwarzwalds. Nachhaltiges Handeln wird hier nicht nur für die Zukunft geplant, sondern schon lange praktiziert.
Bereits 2001 wurde dort ein in seiner Form landesweit erstes Biomasseheizkraftwerk erstellt. Es folgte der Auf- und Ausbau von Photovoltaikanlagen, woraus 17 Prozent mehr installierte Leistung durch Sonnenenergie resultiert als es der Durchschnitt von Baden-Württemberg zu produzieren vermag.
Mit seinen elf Windkraftanlagen liegt Straubenhardt voll im Trend und ist auch in Sachen Windenergiegewinnung dem Landesschnitt weit voraus. An den Windpark wurden zwei E‑Auto-Ladestationen angeschlossen.
Netzwerk Cradle To Cradle Regionen
2015 wurde das Kreislaufprinzip Cradle to Cradle (C2C) im Gemeinderat vorgestellt. Seit 2019 ist Straubenhardt C2C-Modellgemeinde und Teil einer 2021 gegründeten C2C Regionalgruppe.
Das Netzwerk C2C Regionen möchte durch kreative Kreislaufwirtschaften Rahmenbedingungen für gesunde Siedlungsstrukuren schaffen, etwa durch geeignete Materialien, die man endlos wiederverwenden kann. Gute Lösungen für Mensch und Umwelt sind Teil der C2C Philosophie. Das alles möchte Straubenhardt in verschiedenen Projekten Schritt für Schritt realisieren.
Straubenhardt ist darüber hinaus Teil der Initiativen „Fairtrade-Gemeinde“ Und „Klimapositive Städte und Gemeinden“.
Bürgermeister von Straubenhardt ist Helge Viehweg, und das seit Juli 2013. Wiedergewählt wurde er im April 2021, die Bestätigung „für meine Spinnereien und dass sie mitgetragen werden“. Dabei legt das SPD-Mitglied größten Wert auf parteiübergreifende Zusammenarbeit.
Herr Viehweg, wie kommt man als Bürgermeister darauf, Cradle to Cradle als nachhaltiges Prinzip in der Gemeinde zu verankern?
Ich habe 2015 Prof. Dr. Michael Braungart, Mitbegründer der C2C Bewegung, bei einer IHK Nordschwarzwald Veranstaltung zum Thema „Gewerbegebiete der Zukunft“ kennengelernt. Er war dort Gastredner. Und ich erhoffte mir neue Ideen über das Übliche „wir brauchen mehr Fläche, wir brauchen mehr Gewerbe“ hinaus. Zunächst sah es nicht danach aus, dass ich fündig werde.
Doch dann sprach gegen Ende Herr Braungart. Er sagte sinngemäß, ihr seid alle schon so weit verfestigt in Eurem Denken, macht einfach weiter so. Aber ich erzähle Ihnen jetzt trotzdem meine Geschichte. Er stellte das Modell von C2C vor. Und ich habe es einfach super gefunden. Ich habe ihn angesprochen, und wir sind bis heute in Kontakt. An einem Abend stellte er C2C unserem Gemeinderat vor. Es wurde lebhaft und lange diskutiert. Danach war allen klar, wir wollen das machen.
Ohne diesen aufgeschlossenen Gemeinderat, partei- und fraktionsübergreifend, ohne die breite Unterstützung in unserer Verwaltung, hätte das nicht funktioniert.
Problem: C2C ist sehr erklärungsbedürftig. Wie holen Sie die Bürger ab?
Denen sag ich, dass ich den Begriff auch nicht so super finde. Braungart meinte, ihr könnt auch von der Nudel zur Nudel sagen. Es kommt mehr drauf an, dass man diese andere Idee dahinter versteht, dass wir in Kreisläufen denken, und dass es nicht nur das Bauen betrifft, sondern alle Bereiche, dass wir Materialien und Dinge nutzen sollten, die qualitativ gut sind, die gut tun und die alle im Kreislauf bleiben und keinen Müll verursachen. Sodass wir dann auch nicht mit schlechtem Gewissen durch die Welt gehen, und sagen: Macht weniger, nutzt weniger, schränkt euch ein, sondern: Nutzt mit Freude mehr davon. Wie man das dann nennt, ist am Ende egal. Und ja, ich konnte Bürger abholen, bei aller Skepsis, die natürlich auch vorhanden war.
Meine Wiederwahl ist Bestätigung meines Kurses. Die Menschen, die das nicht mögen, müssen dann halt in acht Jahren fleißig zur Wahl gehen und für eine Alternative kämpfen.
Was war das erste C2C Projekt? Weitere Beispiel, Ideen?
Wir sind gleich mit einem ambitionierten Projekt gestartet, unserem Feuerwehrhaus. Die Planung für ein neues Feuerwehrhaus stand genau zu diesem Zeitpunkt, 2017, an. Und der Gemeinderat sagte, dann setzen wir das doch gleich unter C2C Aspekten um. Wir fanden einen geeigneten Standort, der dieses Nachhaltigkeitsprinzip erfüllte. Das Bauen erfolgte zwar noch nicht in nachhaltiger Idealform – denn unter anderem mussten wir uns an die Normen und Anforderungen des Brandschutzes halten. Aber wir konnten vieles berücksichtigen: etwa keine Verklebungen, keine giftigen Materialien, unverputzter Sichtbeton, unbehandeltes Holz, damit sich die Baustoffe später wiederverwenden lassen.
Ein großes Ziel ist, dass so viele Kommunen und Städte und Menschen wie möglich keine Giftstoffe, keinen Müll mehr wollen, und wir auch bereit sind, für den Anfang mehr dafür auszugeben. Das ist zugegebenermaßen noch Utopie, aber es ziehen immer mehr mit.
Das ist der Weg. Und der geht noch weiter: Unser Gewerbegebiet der Zukunft soll ein C2C Gewerbegebiet sein. Mit dem großen Anspruch, dass die Fläche, die versiegelt wird, die gleiche Artenvielfalt darstellen kann wie die zuvor unversiegelte Fläche.
Wie kann das gelingen?
Indem die Gebäude an sich Materiallager sind, keine Mülldeponien mehr. Indem die Fassaden begrünt sind und sich dort Vögel, Insekten, Pflanzen ansiedeln. Indem es ein kluges Wassermanagement gibt, die Kreisläufe mit eingeplant sind. Dann kann das funktionieren.
Aber das Budget können Sie ja nicht außer Acht lassen.
Wir Schwaben denken ja viel in „was kostet es“ und weniger in „wie viel Müll macht das“. Bei Produkten des täglichen Lebens ist das noch okay. Wenn ich für ein C2C Toilettenpapier das Vierfache bezahle, dann geht das nicht auf. Aber für ein gutes Produkt, in dem viel Forschung drinsteckt, kann man höhere Kosten verantworten. Eigentlich müssten wir dahin kommen, dass es sich für Hersteller nicht mehr lohnt, für die Müllhalde zu produzieren.
Wie funktioniert C2C Verwaltung?
Wir sind dran, neue Beschaffungsrichtlinien zu formulieren, also genauer hinzuschauen, wo die Produkte herkommen, was ihre Bestandteile sind. Große Widerstände, im Sinne von, jetzt muss man das auch noch machen, erlebe ich nicht, eher Reaktionen wie „eine interessante Idee!“. Also auch da absolute Aufgeschlossenheit.
Im Fachbereich Bauen und Wohnen werden wir Umstrukturierungen vornehmen, um Nachhaltigkeit, Klimaschutz und C2C besser verbinden zu können. C2C soll dabei nicht zum Dogma werden, wir können auch andere nachhaltige Wege gehen.
Und wir planen, uns Fachwissen Nachhaltiges Management ins Haus zu holen.
Gibt es eine Zusammenarbeit mit angrenzenden Gemeinden?
Authentisch sein und dabei Zukunft anders denken: Anfangs haben wir das tatsächlich für uns gemacht. Es ging uns auch um ein Alleinstellungsmerkmal für Straubenhardt. Der nächste logische Schritt ist aber, dass wir die Idee und unsere Erfahrungen nun weitertragen. Der Enzkreis hat sich schon mal bei uns umgeschaut, aber das kann man noch steigern. Ich sag mal diplomatisch, da stehen wir noch am Anfang. Ich nehme umliegend noch keine Begeisterung wahr, aber auch keine Ablehnung. Natürlich brauchen wir stärkere Vernetzung. Ich schaue auch nach Karlsruhe, da gibt es bestimmt noch viele Möglichkeiten, etwa durch Forschungsprojekte, Nachhaltigkeit gemeinsam anzupacken. Und ich träume von einer gemeinsamen Innovationsplattform; dafür brauchen wir Mitstreiter.
Fühlen Sie sich von Land und Bund genügend unterstützt?
Ich sehe zumindest ein Interesse. Immerhin hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Baustelle unseres Feuerwehrhauses besucht. Er hat gesagt, das wird Schule machen. Das habe ich abgespeichert, und daran werde ich ihn bei Zeit erinnern. Ich möchte dafür sorgen, dass das in die Landesbauordnung mit aufgenommen wird.
Bilder: Angela Gewiese (Schafe), Gemeinde Straubenhardt
Zu guter Letzt unser kleiner neckar-alb.blog Fragebogen an Helge Viehweg
Wie beeinflusst C2C Ihren Alltag?
Ich hab früher nie so genau hingeschaut, was ich jetzt mache, etwa bei Reinigungsmittel. Und wir haben auf Duschseifen umgestellt. Wobei, ich bin da ein bisschen Prinzessin, ich mag da nicht alles, es muss trotzdem gut riechen.
Welches Auto fahren Sie?
Wir hatten früher zwei Autos, heute nur noch eins, allerdings einen Diesel, weil wir Pferde und andere Nutztiere haben, und der Anhänger muss gezogen werden.
Welche kleine Biosünde gönnen Sie sich?
Ich gestehe, ich habe auch schon eine Schiffsreise gemacht, weil ich so gerne auf dem Meer bin. Ich fand’s toll. Wobei man kann das ja auch so sehen: Da sind 3.000 Leute auf einem Schiff, die eine Woche kein Auto fahren – ein klein wenig CO2 Kompensation.
Wie sieht die Welt von morgen aus?
Ich sehe mich in einer Drohne, die ich nicht steuern muss, und während ich ein Buch lese, für das kein Baum sterben musste, bringt sie mich an einen schönen Ort.
Ihre Empfehlung für einen weiteren Blogbeitrag?
Dr.-Ing. Peter Mösle, ein rühriger Fachmann für nachhaltiges Bauen und Geschäftsführer von EPEA.
Text: Elke Schwarzer