Vor einigen Wochen haben wir Nachhaltigkeitsexpertinnen der Hochschule Esslingen interviewt. Den Fragebogen, den wir der Hochschule zur Vorbereitung zusandten, hat sich auch Walter Czarnetzki, Professor an der Fakultät Maschinen und Systeme, angesehen. Seine Sicht auf Nachhaltigkeit findet ihr im folgenden Beitrag.
Herr Professor Czarnetzki, seit wann forscht die Hochschule Esslingen zum Thema Nachhaltigkeit? Gab es einen Auslöser?
Die Hochschule Esslingen forscht seit zirka 2003 an dem Thema Nachhaltigkeit. Auslöser für die Forschungstätigkeit war die Nachfrage aus der Industrie, die für ihre Produkte Lebenszyklusanalysen (englisch, live cycle assessment, LCA) erstellen wollte. Die enge Verknüpfung mit Energie- und Stoffbilanzen, gekoppelt mit den Herstellungsverfahren, der Nutzung und dem Recycling hat die Hochschule Esslingen hier als kompetenten Partner ausgewiesen. Des Weiteren kam hinzu, dass die Hochschule ein Umweltmanagementsystem nach EMAS eingeführt hat.
Wie lange hat es gedauert, bis aus der Idee ein auch außerhalb anerkannter Forschungsschwerpunkt wurde? Können Sie uns Projektbeispiele nennen?
Das Forschungs- und Entwicklungsthema Nachhaltigkeit wurde aufgrund des hohen Bedarfes – nicht nur in den Betrieben, sondern auch in der Gesellschaft allgemein – in einen Studiengang überführt. Die Fakultät Maschinenbau hat 2006 als einer der ersten in Deutschland einen Masterstudiengang Ressourceneffizienz aufgebaut und eingerichtet, der nach wie vor stark nachgefragt und erfolgreich durchgeführt wird. Das Thema Nachhaltigkeit ist heute in all unseren Fakultäten präsent und wird insbesondere im Institut für Nachhaltige Energietechnik und Mobilität (INEM) der Hochschule Esslingen in der Forschung vertreten. Die wichtigsten Projekte sind hierbei die CO2-freie Energieversorgung insbesondere durch Wasserstoff. Unter anderem werden hier mit namhaften Partnern Brennstoffzellen-Fahrzeuge für den emissionsfreien Schwerlasttransport aufgebaut und erprobt.
Welche Firmen sind an „Nachhaltigkeit made in Esslingen“ interessiert? Gehen Sie auf potenzielle Partner zu?
Es kommen eher Firmen auf uns zu, die Nachhaltigkeitsthemen zusammen bearbeiten wollen. Geschätzt werden sicherlich der niederschwellige Zugang und lokale Nähe. Praxisnahe Geschäftsführungen wünschen sich in der Regel eine genaue Untersuchung der Prozesse und Produkte hinsichtlich einer klar definierten Nachhaltigkeit.
Wie schwierig ist es, Stellen oder Forschungsprojekte zur Nachhaltigkeit zu finanzieren?
Die Finanzierung von Nachhaltigkeitsprojekten ist von staatlicher als auch privatwirtschaftlicher Seite zurzeit kein Problem. Es gibt viele Ausschreibungen und Anfragen, die aber eher auf personelle Engpässe an der Hochschule stoßen. Obwohl wir unser Personal selbst ausbilden, sind diese Experten auf dem Arbeitsmarkt überall gefragt.
Wird hinsichtlich Umweltthemen zu viel oder zu wenig reguliert? Wie ist Ihre Erfahrung?
Ob zu viel oder zu wenig reguliert wird, ist nicht ganz so leicht zu beantworten und hängt sicherlich auch vom jeweiligen Betrachtungsfall ab. Richtig ist aber auf jeden Fall, dass es Regularien bedarf. Ohne externe Anreize oder Zwänge wird sehr oft so weitergemacht wie bisher. Entscheidend ist aber, dass Alternativen angeboten werden. Die vielfach betonte Technologieoffenheit ist dabei sehr wichtig. Es lässt sich viel Nachhaltigkeit per Gesetz erreichen, aber es muss für die Gesellschaft auch tragbar sein. An der Umsetzung arbeiten wir sehr eng mit der Industrie zusammen und werden auch von staatlicher Seite gut unterstützt. Die gute Nachricht ist, dass ein klimaneutrales beziehungsweise sogar klimapositives Wirtschaftssystem machbar ist. Eine Umkehrung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte braucht seine Zeit – auch wenn das gesellschaftliche Gruppen nicht ganz akzeptieren wollen. Wer es schneller haben will, muss bereit sein, größere finanzielle Bürden und größere technologische Risiken zu tragen. Aus technologischer Sicht wäre aber auch das machbar.
Zu vielen Umwelt-Themen hört man die Aussage „Die Technologie ist da, sie muss nur eingesetzt werden.“ Stimmen Sie dieser Aussage zu?
Ja, die Technologie ist da! Wir arbeiten zum Beispiel an einem Plasma-Verfahren, das der Atmosphäre CO2 entziehen kann. Das funktioniert im Labormaßstab sehr gut, ist aber in der großtechnischen Umsetzung noch sehr teuer. Die Wirtschaftlichkeit hängt aber letztlich sehr eng mit der Verfügbarkeit von nachhaltiger und kostengünstiger Energie zusammen.
Wo besteht hauptsächlich Forschungsbedarf? Was behindert die schnelle Umsetzung in die Praxis?
In der Bereitstellung von nachhaltiger und kostengünstiger Energie besteht die größte Herausforderung. Wir haben genügend Sonnenenergie (letztlich ist Windenergie auch Sonnenenergie) in Deutschland, in Europa und in der Welt, um unseren Energiebedarf zu decken. Wir müssen die Sonnenenergie nur in einen Energieträger wandeln, der leicht zu handhaben ist – sprich zu speichern und zu transportieren ist. Für mich ist das Wasserstoff. Er lässt sich in großen Mengen nachhaltig und kostengünstig herstellen, speichern und transportieren. Er kann unser auf fossilen Energiequellen basierendes Energiesystem leicht ersetzen. Die Investitionen hierfür wären auch in einem tragbaren Rahmen. Das größte Problem ist hier das „Henne-Ei-Dilemma“. Die Industrie wartet auf den Markt, sprich den Nutzer – der Nutzer wartet auf die Produkte, sprich die Industrie. Innerhalb der Industrie gibt es die, die Wasserstoff herstellen könnten, es aber nicht machen, weil es keinen Bedarf gibt. Und die anderen, die Wasserstoff-Abnehmerprodukte bauen könnten, es aber nicht machen, weil es keinen Wasserstoff gibt.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, um Nachhaltigkeit schneller und einfacher in die Praxis zu bringen?
Die Lösung ist, beides gleichzeitig zu machen. Wir erzeugen nachhaltigen Wasserstoff und bauen gleichzeitig die Fahrzeuge, die den Wasserstoff benötigen und damit eine emissionsfreie Mobilität umsetzen. Um jetzt noch kostengünstig zu werden, benötigen wir größere Mengen beziehungsweise Stückzahlen. Das Hindernis ist, den Mut und die finanziellen Mittel zu haben, den Weg der Skalierung zu gehen. Sind die Kosten gesenkt, ist es ein selbsterhaltendes System. Was ich mir also wünsche, ist über den Kostenberg zu kommen.
Zur Person
Prof. Dr.-Ing. Walter Czarnetzki, geboren in Marburg an der Lahn, ist seit 2003 an der Esslinger Hochschule, Fakultät Maschinen und Systeme, tätig und leitet den Laborbereich Thermofluiddynamik. Seine fachlichen Schwerpunkte sind Energiewandler und Wasserstoff als Energieträger.
Und schließlich unser neckar-alb.blog-Fragebogen an Professor Walter Czarnetzki:
Welches Auto fahren Sie? Elektro Smart, je kleiner ein Elektroauto desto nachhaltiger! (Elektroautos mit großer Batterie erzeugen schon bei der Herstellung viel CO2.)
Wie heizen Sie Ihr Haus? Mit Solarkollektoren und Gas mit hohem Wasserstoffanteil, da Wärmepumpen in Bestandsbauten mit hohen Vorlauftemperaturen nicht effizient genug sind.
Welche „Umweltsünden“ leisten Sie sich? Kinder.
Was ist Ihre ganz persönliche Definition von Nachhaltigkeit? Meine Definition ist durch den Club of Rome geprägt: Die Grenzen des Wachstums sind überschritten. Von allem weniger führt zur Nachhaltigkeit.
Bilder: Hochschule Esslingen